Schreibmaschine und Laptop nebeneinander
Die Jahre vor der Digitalisierung.

Bibliothek statt Suchmaschine – studieren im Generationenvergleich

Das Zitat „640 kB sollten eigentlich genug für jeden sein.“ von Bill Gates beschreibt den Spirit der prädigitalen Ära der 1980er wohl am besten. Mit dem Aufkommen des ersten für die Massen produzierten und heiß umkämpften Heimcomputers „Commodore 64“ bestritt der ehemalige Student der Uni Wien Johann K. (heute 59 Jahre alt) seine Studienzeit. Mit seiner Tochter stellt er sich dem Generationenvergleich.

Die Jahre vor der Digitalisierung

Diese Zeit war geprägt von physischen Anwesenheiten, Face-to-face-Kommunikation, Lernen im (Stamm-)Kaffeehaus und ausgedehnten Bibliothek-Sessions. Seine Tochter Agnes K. (29), Studentin an der Fachhochschule Burgenland, studiert in Zeiten der Digitalisierung und kann sich vieles von dem, was damals die Normalität war, nicht mehr vorstellen. Ein erster Schwank aus Johanns Studienzeit: Der Prüfungsstoff wurde von ehemaligen Studierenden zusammengefasst und gegen ein paar Schilling an aktuell Studierende vererbt. Nur noch Lücken wurden mithilfe von Fachliteratur gefüllt, was es nicht einfacher machte. Die Informationssuche in der Bibliothek ohne digitale Hilfsmittel gestaltete sich durchaus schwierig. „Die Bücher, die gefragter waren, befanden sich in Reichweite”, so Johann auf die Frage nach einem Leitsystem. Die aufwändige Suche nach Informationen führte dazu, dass er Wissenslücken nicht rechtzeitig füllen konnte.

Die Prüfungen waren schwieriger

Der Informationsmangel gipfelte darin, dass sich Johann während Prüfungen oftmals nicht sattelfest fühlte. „Das würde mir heutzutage wohl nicht mehr passieren, weil ich so lange Googeln würde, bis ich sicher bin“, so Johann. Das Problem mit dem Informationsmangel kennt Agnes nicht. Sie ist mit der Suchmaschine Google groß geworden. Was sie nicht weiß, beantwortet ihr die Suchmaschine innerhalb von Sekunden auf etliche Arten. Informationsmangel wurde zu Informationsüberschuss. Wo es damals darum ging überhaupt Quellen zu finden, ist es heute die Challenge zuverlässige und seriöse Quellen unter tausenden zu entlarven. Die mühsame Suche nach Informationen war nur eine der Hürden, die Studierenden vor 40 Jahren zu schaffen machte. „Wegen jeder Kleinigkeit musste man persönlich erscheinen”, klagt der damalige Student über die Anwesenheitspflicht in organisatorischen Belangen.

Online sein erleichtert Vieles

Agnes kann Organisatorisches heute wie viele andere Studierende mit ein paar Klicks per E-Mail oder über die Lernplattform „Moodle” erledigen, womöglich bequem auf dem Sofa liegend oder in den Öffis am Weg zur Arbeit. Für die Studierenden von damals bedeutete die Anmeldung zu einer Prüfung viele extra Kilometer und das Einreihen in lange Warteschlangen, was ihnen vor allem eines abverlangte: Geduld. Daran mangelte es nicht, so Johanns Eindruck: „Man studierte ganz locker vor sich hin, was man schaffte, schaffte man, was sich nicht ausging, schob man ins nächste Semester.”

Heute muss alles schneller gehen

Auf die Frage nach Erfolgsdruck antwortet er damit, dass man den Druck, zumindest in seinem Studiengang der Veterinärmedizin, nicht verspürte. Wenn jemand durch eine wichtige Prüfung fiel, so vertrat man die Einstellung, dass es eben ein halbes Jahr länger dauert. Diese Einstellung vertreten die heute Studierenden Großteils nicht mehr. Psychische Belastungen, begünstigt durch Erfolgsdruck, steigen rasant. Der Erfolgsdruck wächst mit der Anzahl der Studierenden und damit potentiellen Konkurrenten am Arbeitsmarkt. Wo damals „nur“ 160.904 Personen an Österreichs Hochschulen studierten, stieg die Anzahl im Jahr 2015 laut Statistik Austria auf 280.445 Personen.

Damals war es lockerer

Positiv wirkte sich in den 80er-Jahren womöglich auch die Tatsache aus, dass man, zumindest in Johanns Studiengang, keine schriftliche Abschlussarbeit schreiben musste. Diese war Doktoratsanwärtern vorbehalten, womit sich ein neues Geschäftsfeld auftat. „Es gab Leute, die angeboten haben, handschriftliche Doktorarbeiten mit der Schreibmaschine zu tippen, um dadurch Geld zu verdienen”, verrät Johann. Agnes müsse zwar eine Abschlussarbeit schreiben, aber „Gott sei Dank nicht mit der Schreibmaschine“. Die von Generation zu Generation getragene Weisheit „früher war alles besser”, lässt sich in punkto Studiums nicht unterstreichen. Nachtrauern kann man allerdings der Gelassenheit, die sich mit zunehmender Digitalisierung nach und nach verabschiedet. Könnte Johann zurück in die Vergangenheit reisen, dann würde er seinem 20-jährigen Ich folgendes raten: „Erstens: Trau dich mehr zu fragen und trau dir mehr zu, denn aus Fehlern lernt man und Zweitens: Komm mehr aus dir heraus und geh auf die Leute zu.” Diesen Rat würden wohl noch so manche Studierende von heute ihrem jüngeren Ich geben, vermutlich so lange es uns Menschen gibt.

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