Minderjährige Rechtsterroristen und rechte Meme-Propaganda in Gaming-Kreisen: Auf Social Media entsteht eine neue Generation jugendlicher Rechtsextremer.
Die neue rechtsextreme Jugendbewegung kommt nicht mit Springerstiefeln, sondern mit TikTok-Sound, Discord-Kanal und Insta-Meme. (c) Envato

Wie Social Media junge Menschen in den Neonazismus zieht 

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Angriffe auf CSD-Demonstrationen, minderjährige Rechtsterroristen und rechte Meme-Propaganda in Gaming-Kreisen: Auf Social Media entsteht eine neue Generation jugendlicher Rechtsextremer. Der digitale Weg in den Neonazismus ist kurz und zunehmend gut organisiert. 

Social Media als Motor 

TikTok-Videos mit marschierenden Glatzen war gestern. Heute kommen rechte Inhalte als trendige Aesthetic-Clips, Memes oder verherrlichende Edits daher. Besonders auf Plattformen wie Instagram, TikTok und WhatsApp finden junge Menschen mit rechtsextremer Ideologie in wenigen Klicks Anschluss. Laut dem CeMAS-Paper „Eine neue Generation von Neonazis“, erschienen im November 2024, nutzen rechtsextreme Jugendgruppen genau diese Kanäle zur Rekrutierung. In der Organisation dürften einige ältere, erfahrene Neonazis unterstützen, junge Menschen zu erreichen. CeMAS macht darauf aufmerksam, dass diese jungen Bewegungen im Gegensatz zu den klassischen rechtsextremen Gruppen Meta-Plattformen und Telegram nutzen.  

Dem Bericht zufolge zeigt sich in der Mobilisierung gegen die CSDs auch ein Wandel in der Art der Gruppenbildung: Viele Gruppen wurden erst durch die Online-Aufrufe und anschließenden Proteste bekannt – sie entstehen quasi im Feed. Auffällig ist zudem: Der digitale Raum dient nicht nur der Rekrutierung, sondern auch der Koordination. In mehreren Städten wie Bautzen oder Leipzig war die Teilnahme von mehreren hundert Neonazis zu verzeichnen, was auf eine gut organisierte Online-Struktur schließen lässt. 

In 27 deutschen Städten mobilisierten sich 2024 so rechtsextreme Gruppen gegen CSD-Veranstaltungen. Besonders auffällig: die offene Präsentation ihrer Gruppenzugehörigkeit online, inklusive Gesichts- und Namensnennung. Ein Zeichen für die gestiegene Selbstsicherheit der Szene. Selbst die Sperrung einzelner Accounts auf den Plattformen führt laut CeMAS nur selten zu nachhaltiger Eindämmung. 

Vom Scrollen zur Radikalisierung 

Die neue rechte Szene ist stilistisch modern, ironisch, trendsicher. Was früher über Neonazi-Foren wie Stormfront lief, passiert heute über Algorithmus-gesteuerte Timelines. TikToks For-You-Page spült Jugendlichen Inhalte in die Feeds, die unter dem Deckmantel von Humor, Anti-Woke-Kritik oder Männlichkeitskult rechtsextreme Ideologie verbreiten. Besonders anfällig sind junge Männer, deren Online-Zeit sich mit Gaming- oder Internet-Troll-Kultur füllt und deren soziale Bindungen im Realen eher schwach sind. 

Im Report „Militanter Akzelerationismus“ beschreibt CeMAS die gezielte Verlagerung rechtsterroristischer Netzwerke auf Plattformen wie Telegram, 4chan oder 8chan. Auf den Plattformen verbreiten sich Inhalte, die zu Anschlägen aufrufen oder detaillierte Bauanleitungen für 3D-gedruckte Waffen liefern. So entstehen abgeschottete Echokammern, in denen sich Jugendliche gegenseitig in ihren Gewaltfantasien bestärken. Aufgrund seiner Nutzung hat Telegram den Beinamen „Terrorgram“ erhalten.  

Ein besonders bedenklicher Aspekt ist die Ästhetisierung von Gewalt: In Foren wie 4chan oder Telegram-Kanälen werden Attentäter wie jener von Christchurch oder Halle in stilisierten Grafiken als „Helden“ dargestellt. Jugendliche, die solche Inhalte konsumieren, erhalten Bestätigung – gepaart mit der Illusion, Teil eines elitären Netzwerks zu sein. 

Wenn Kinder zu Tätern werden 

CeMAS hat in seiner Rechtsterrorismus-Datenbank 48 Fälle rechtsterroristischer Aktivitäten seit 2011 erfasst. Besonders alarmierend: Junge Menschen stellen inzwischen einen signifikanten Anteil an den Tatverdächtigen. Die Datenbank beschreibt allerdings nicht nur die Zunahme jugendlicher Rechtsradikale, sondern nennt auch konkrete Fälle: So etwa jenen eines 22-jährigen Deutschen, der sich in der Chatgruppe der Feuerkrieg Division radikalisierte und einen Anschlag auf eine Moschee plante – mit selbstgebauten Waffen und in explizitem Bezug auf den Attentäter von Halle 

Die Analyse zeigt: Viele agieren im Glauben, Teil einer größeren „Bewegung“ zu sein. Hashtags wie #ReadSiege oder die Nutzung von Memes mit Verweis auf James Masons Terror-Newsletter sind Ausdruck dieser Identifikation. Die Angst vor dem Zusammenbruch der westlichen Gesellschaft wird in diesen Kreisen zur Motivation für Gewalt. 

Österreich im digitalen Sog 

Auch hierzulande sind die Dynamiken ähnlich. Der Rechtsextremismusbericht Österreich 2025 beschreibt, wie sich Neonazismus zunehmend in digitale Subkulturen verlagert – besonders in jene des Kampfsports, des Fußball-Hooliganismus, der Musik und der verschwörungsaffinen Szenen. Zudem dokumentiert der Bericht, dass sich auch in Österreich erste Strukturen eines digitalen Akzelerationismus formieren. Besonders im Umfeld rechtsextremer Verschwörungsszenen während der Corona-Pandemie wurden ideologische Brücken geschlagen, die nun in radikaleren Jugendmilieus weitergetragen werde. 

Rechte Inhalte mit rechtem Gedankengut und identitären Narrativen erreichen laut Bericht eine beachtliche Reichweite. Gerade in Zeiten gesellschaftlicher Krisen wirken diese Formate anschlussfähig für Jugendliche. So wird etwa die Ablehnung queerer Identitäten als „Mut zur Wahrheit“ inszeniert und rassistische Memes als subversive Kritik am „System“. 

Wenn Likes zu Radikalisierung führen 

Die neue rechtsextreme Jugendbewegung kommt nicht mit Springerstiefeln, sondern mit TikTok-Sound, Discord-Kanal und Insta-Meme. Sie ist anschlussfähig, selbstbewusst und erschreckend gut organisiert. CeMAS warnt zurecht vor einer neuen Generation von Neonazis, die nicht über klassische Parteien, sondern über Social-Media-Logiken sozialisiert wird. 

Prävention muss digital denken: Neben klassischer politischer Bildung braucht es Plattform-Moderation, gezielte Deradikalisierungsprojekte in sozialen Netzwerken und Medienkompetenzvermittlung für Lehrende, Eltern und Jugendliche. Denn der erste Schritt in die Szene ist heute nur einen Like entfernt. 

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