Wald mit Straße von oben
Foto von invisiblepower

Weihnachten schon im November

Das ist keine Weihnachtsgeschichte.

Ende November streife ich mit meiner Kollegin durch die Gänge eines Drogeriemarkts. Ich bin auf der Suche nach einer kleinen Box für Familienfotos und staune, wie sehr es in den Regalen schon weihnachtet.  

Das After Eight im Verkaufstand musste Lebkuchen und Schokonikoläusen weichen. Das Geschenkpapier ist ausschließlich in Rot oder mit Rentieren, Christbäumen und Geschenkepackerl erhältlich. Die Werbetafeln zeigen Nikolaus, Christkind, Santa Claus. Weniger traditionell lacht mir ein Weihnachtself mit der Aufschrift „Happy Holidays“ von einer Grußkarte entgegen. Nur die Weihnachtshexe hat es noch nicht in unsere Regale geschafft, denke ich zynisch. Neben Spielzeug und Geschenksets, Duftangeboten und Computerspielen such ich vergebens nach dem Geist der Weihnacht. Der Geist von dem ich als Kind so viel in der Schule gehört hab. Der, den ich doch tatsächlich, über Jahre hinweg, aufs Christkind wartend, so intensiv gespürt habe. Eben jener, der mich nur noch in der Fernsehwerbung geschickt drängen will, ein teures Geschenk zu kaufen. Der Geist der Weihnacht, den so viele sich wünschen, aber suchen, anstatt ihn selbst zu kreieren. 

Mein Blick fällt auf eine Frauenzeitschrift. Zwischen Keksrezepten und Dekoideen wird eine Kolumne am Titelblatt angepriesen, die den Sinn von Weihnachten unterstreichen soll. Ich schmökere durch das Blatt und bin enttäuscht, dass sich zwischen den weisen Worten, über Familie, Dankbarkeit und Vertrautheit Produktvorschläge verstecken.  Ich denke an den Kerzenschein der ersten Adventkerze und werde vom Licht der neu geöffneten Kasse, zu der alle Kund:innen gleichzeitig hineilen, aus meinen Gedanken gerissen. Konsum so weit das Auge reicht, denke ich. In der Zeit des Zusammenkommens, begegnen wir im Advent häufig nur Fremden näher. Im Gedränge an der Kasse. 

Das ist keine Weihnachtsgeschichte 

Ich verlasse das Geschäft. Anstatt besinnlich über die kommenden Wochen nachzudenken, überkommt mich ein Anflug von Traurigkeit. Während Weihnachten früher den Duft von Zimt, Orangen und Kaminwärme mit sich brachte, fürchte ich mich nun vor einer Zeit, die ich hauptsächlich im Auto von einer Feier zu anderen verbringen werde, vor Panikeinkäufen und Abgaben. Ich denke daran, dass nun die Zeit nach Black Friday, Cyber Monday und vor dem Winterschlussverkauf kommt, wo ein Rabatt den nächsten jagt und jage selbst zum Bahnhof, um meinen Zug zu erwischen. 

In Gedanken über Hektik und Stress in der Weihnachtszeit hetze ich von meiner Arbeit in Salzburg zur Uni im Burgenland, um dann gemeinsam mit Freunden nach Bregenz aufzubrechen. Auf der Strecke bin ich froh, endlich einmal zur Ruhe zu kommen – sehne mich nach der guten alten Zeit. Am Weg wechsle ich das Transportmittel, treffe meine Freunde. Sie steigen zu: in Wien, Salzburg, Innsbruck.  Die Fünfte und letzte im Bunde treffen wir in Bregenz, unserem Ziel der Österreichdurchquerung. Nummer Fünf kommt aus der Schweiz und sollte eine Stunde vor uns in Vorarlberg eintreffen. 
Kurz vor unserer Ankunft klingelt das Telefon. Die Wahlschweizerin muss dringend zurück. Wir können uns zwar noch für einen komprimierten Tratsch in einem Café treffen, aber bereits eine Stunde und acht Minuten später sitzt sie schon wieder im Zug. Der Rest der Bande begibt sich 500 Höhenmeter aufwärts, den Pfänder hinauf. Mit jedem Meter lassen wir das regnerische Ufer des Bodensees hinter uns. Der Berg begrüßt uns mit knöcheltiefem Schneegestöber. Wir staunen, der Akku des E-Autos stöhnt. Mit 3 Prozent im Tank fahren wir in den Parkplatz ein. Geschafft. Wir beziehen unsere Unterkunft, ein wunderschönes Loft aus Architektenguss. Naturmaterialien und Charakter geben sich in dieser Wohnung die Hand: Viele Fenster, noch mehr Holz und die Aussicht auf ein schneereiches Wochenende. Hier oben wechselt das Handynetz beinahe im Sekundentakt zwischen der Schweiz, Deutschland und Österreich. Wirklich funktionieren tut aber keines. Wir sind gezwungen abzuschalten.  

Das ist keine Weihnachtsgeschichte im herkömmlichen Sinn. 

Bei einem zufällige Treffen mit dem Gastgeber teilt dieser uns erfreut mit, dass wir das E-Auto bei ihm auftanken können. Er legt uns ein Kabel und der Ladevorgang startet. Langsam, aber stetig klettert die Prozentanzahl nach oben, bis zur Abreise in zwei Tagen sollten wir ausreichend für die Abfahrt versorgt sein.  Schnell wird klar: Mit dem Handyempfang haben wir auch Stress und Hektik im Tal gelassen. Wir kochen, machen Yoga, spielen Brettspiele, schalten unser verlorenes Mitglied über Laptop und Wlan zu – tratschen und lachen bis spät in die Nacht. 

Nach einer Nacht im Matratzenlager, die wir freiwillig so gewählt haben, obwohl wir genau so gut separate Zimmer haben hätten können, beginnen wir den Tag mit einem ausgiebigen Spaziergang bei dem die Schneedecke, eisige Tannenspitzen und die Sonne um die Wette funkeln. Kaum zurück starten wir erneut den Ablauf des Vortages in leicht geänderter Reihenfolge: Essen, Yoga, Brettspiele, Lachen, Bett. Das Wochenende geht vorüber. Die Ruhe bleibt, wir hören uns sagen, wie sehr sich die Tage nach Weihnachtsferien in der Schulzeit anfühlen. Wie friedvoll und wertvoll das Für und Miteinander scheint. Wir vergessen den Alltag. 

Ein paar Tage ohne Ablenkungen, Ohne Deadlines und Stress. 

Ein paar Tage Weihnachten, auch wenn der Kalender erst November zeigt.  

Ein paar Tage wieder Kind sein.

Mit aufgeladenen Batterien bestreiten wir und das E-Auto unseren Heimweg. Ich schaue glücklich aus dem Autofenster, mein Blick schweift über die weißen Schneefelder, die im Tal nicht gänzlich vom Regen weggespült wurden. Meine Gedanken kreisen um meinen Zynismus, den ich nun in den anfänglichen Überlegungen zur kommenden Weihnachtszeit erkenne. Vielleicht muss Weihnachten gar nicht hektisch und konsumgetrieben sein -vielleicht muss es nicht einmal im Dezember stattfinden. 

Das ist keine Weihnachtsgeschichte. Und doch ist sie eine meiner schönsten.  

Du willst noch eine Weihnachtsgeschichte hören? Oder hast die Schnauze voll von Last Christmas und Jingle Bells? We got you covered. Unser Im Fokus hat alles zur winterlichen Zeit, was du brauchst, oder eben nicht brauchst. Schau doch mal rein, wir freuen uns!